Weil Krankheit zu den wichtigsten Beschäftigungshindernissen zählt, hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.05.2004 den § 84 Abs. 2 SGB IX neu gefasst:
Ist ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres mehr als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, hat der Arbeitgeber ein Verfahren durchzuführen, das im Gesetz als “Betriebliches Eingliederungsmanagement” (BEM) bezeichnet wird.
Danach muss der Arbeitgeber erklären, “wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann”.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin hat in einer Entscheidung vom 27.10.2005 (Az.: 10 Sa 783/05) u. a. festgestellt:
– Durch das BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX wird “für den Fall der krankheitsbedingten Kündigung das dem Kündigungsrecht ohnehin inne wohnende ultima-ratio-Prinzip verstärkend konkretisiert. Die in dieser Vorschrift genannten Maßnahmen geben dem Arbeitgeber mithin dasjenige Maß an Prüfung vor, dass er zur Verhinderung der krankheitsbedingten Kündigung in den genannten Fällen zur Geltung bringen muss.
Im Ergebnis werden damit die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers in Kündigungsschutzverfahren erhöht. Der Arbeitgeber muss substantiiert darlegen, dass trotz fachkundiger Überprüfung und Beratung des Falles durch die in § 84 Abs. 2 SGB IX genannten Stellen (z. B. Betriebs- und Personalrat, Schwerbehindertenvertretung, ggf. Werks- oder Betriebsarzt) die Kündigung unvermeidbar ist. Gelingt dem Arbeitgeber dies nicht, scheitert die Wirksamkeit der Kündigung schon an der unzureichenden Darlegung des Kündigungsgrundes. Der Arbeitgeber kann sich auch nicht darauf zurückziehen, hiervon keine Kenntnis zu haben. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer neueren Entscheidung (04.10.2005, Az.: 9 AZR 632/04) unter Bezugnahme auf das Präventionsverfahren für schwerbehinderte Menschen nach § 84 Abs. 1 SGB IX – also einem ähnlich gelagerten Fall – eindeutig festgestellt, dass sich der Arbeitgeber nicht auf Unwissenheit berufen kann.
Damit muss der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess vortragen, ob und ggf. inwieweit die betrieblichen Umstände (mit) ursächlich für die Arbeitsunfähigkeit sind, dass der Arbeitsplatz den arbeitsschutzrechtlichen Mindestanforderungen genügt und warum durch Leistungen externer Stellen (Reha-Träger, Integrationsamt) keine Abhilfe geschaffen werden kann.
Konsequenterweise hat das Arbeitsgericht Berlin in einem Urteil vom 19.04.2006 (Az.: 31 Ca 26315/05) entschieden, die Nichtdurchführung eines BEM spräche indiziell dafür, dass eine ungünstige Prognose für unzumutbare krankheitsbedingte Fehlzeiten des Arbeitnehmers in der Zukunft nicht gestellt werden könne. Der Arbeitgeber müsse dann insbesondere auch beweisen, dass eine entsprechenden ungünstige Prognose auch bei einem ordnungsgemäß durchgeführten betrieblichen Eingliederungsmanagement vorgelegen hätte.
Im Ergebnis geht die Rechtsprechung gleichwohl davon aus, dass das Eingliederungsmanagement keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung ist. Sie konkretisiert und erhöht aber die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers in Kündigungsschutzverfahren. Das BEM führt somit zu seiner Stärkung des Kündigungsschutzes im Krankheitsfall.