Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer brandneuen Entscheidung vom 09.11.2006 (Az.: 2 AZR 812/05) seine bisherige Rechtsprechung, wonach bei einem betriebsbedingten Stellenabbau alle Kündigungen unwirksam sind, wenn der Arbeitgeber die soziale Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer anhand eines Punktesystems bewertet hat und ihm bei nur einem Arbeitnehmer ein Fehler unterlaufen ist (“DOMINO-Theorie”), aufgegeben. Von einem solchen Fehler kann ab jetzt nur der gekündigte Arbeitnehmer profitieren, der bisher auf dem letzten Platz der Kündigungsrangliste gestanden hat.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger war bei dem beklagten Unternehmen als Maschinenführer beschäftigt. Wegen eines Umsatzrückgangs entschloss sich die Beklagte, 55 Stellen im gewerblichen Bereich abzubauen. Zur Durchführung der Sozialauswahl erstellte sie ein Punktesystem mit den Kriterien: Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, Familienstand und Schwerbehinderteneigenschaft. Die 55 Arbeitnehmer mit der geringsten Punktzahl sollten entlassen werden.
Der Kläger befand sich mit einer Gesamtzahl von 41 an 43. Stelle der Liste. Ihm wurde deshalb betriebsbedingt gekündigt. Mit seiner Klage rügte er die ordnungsgemäße Sozialauswahl. Die Beklagte habe dem Kollegen A. 44 Punkte und damit den – von der Kündigung nicht erfassten – 73. Rang zuerkannt, obwohl dieser nur mit 39 Punkten zu bewerten sei. Die beklagte Arbeitgeberin machte geltend, dass ein solcher Fehler allenfalls dem Arbeitnehmer zugute kommen könne, der bei richtiger Berechnung der Punktzahl ungekündigt geblieben wäre, also dem bisher auf Platz 55 der Rangliste gesetzten Arbeitnehmer.
Das Arbeitsgericht (ArbG) und das Landesarbeitsgericht (LAG) gaben der Kündigungsschutzklage zunächst statt. Sie begründeten dies mit der vom BAG aufgestellten “DOMINO-Theorie”, wonach die Kündigungen aller Arbeitnehmer unwirksam seien, wenn dem Arbeitgeber bei der Ermittlung der Punktzahlen ein Fehler unterlaufen sei und deshalb auch nur einem Arbeitnehmer, der bei richtiger Ermittlung der Punktzahl zur Kündigung angestanden hätte, nicht gekündigt worden sei. Das BAG hob die Vorentscheidungen des ArbG und LAG auf.
Die Gründe:
Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger sei nicht schon deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeberin möglicherweise hinsichtlich des Arbeitnehmers A. bei der Ermittlung der Punktzahlen ein Fehler unterlaufen sei. Die bisher vom Senat vertretene “DOMINO-Theorie”, wonach ein Rechenfehler des Arbeitgebers ohne weiteres die Unwirksamkeit der Kündigung des Klägers zur Folge gehabt hätte, werde aufgegeben.
Könne der Arbeitgeber in Fällen, wie dem vorliegenden, im Kündigungsschutzprozess aufzeigen, dass der gekündigten Arbeitnehmer auch bei richtiger Erstellung der Rangliste anhand des Punktesystems zur Kündigung angestanden hätte, so ist die Kündigung nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam. Denn der Fehler ist für die Auswahl dieses Arbeitnehmers nicht ursächlich geworden. Er wirkt sich vielmehr nur bei dem Arbeitnehmer aus, der bislang auf dem letzten Platz der Rangliste gestanden hat und deshalb bei Vermeidung des Fehlers ungekündigt geblieben wäre.
Nach diesen Grundsätzen wirke sich ein etwaiger Fehler der beklagten Arbeitgeberin bei der Berechnung der Punktzahl für A. auf den Kläger nicht aus, da dieser auch durch die Einbeziehung des A. in den Kreis der zu kündigenden Arbeitnehmer nicht auf den sicheren Platz 56 der Liste gelangt wäre.