BAG: Krankheitsbedingte Kündigung – Betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX kein bloßer „Programmsatz“

Rechtliche Wertung:
Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer aus krankheitsbedingten Gründen, ohne zuvor das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt zu haben, so führt dies nicht ohne weiteres zur Unwirksamkeit der Kündigung. Das BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine personbedingte Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen. Die gesetzliche Regelung ist aber auch nicht nur ein bloßer Programmsatz, sondern Ausprägung des das Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Führt der Arbeitgeber kein BEM durch, kann dies Folgen für die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der Prüfung der betrieblichen Auswirkungen von erheblichen Fehlzeiten haben. Der Arbeitgeber kann sich dann nicht pauschal darauf berufen, ihm seien keine Alternativen, der Erkrankung angemessenen Einsatzmöglichkeiten bekannt. Dies hat der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in seinem Urteil vom 12.07.2007 (2 AZR 716/06) entschieden.

Sachverhalt:
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war der mit einem GdB von 30 einem Schwerbehinderten nicht gleichgestellte Kläger seit 1981 bei der Beklagten als Maschinenbediener beschäftigt. Seit 2002 war er wegen eines Rückenleidens durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Nach Anhörung des Betriebsrats (BR) kündigte daraufhin die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 29.10.2004 fristgemäß. Der Kläger hat mit seiner Kündigungsschutzklage geltend gemacht, bei entsprechender Ausstattung seines Arbeitsplatzes sei ein Einsatz als Maschinenbediener weiterhin möglich. Die Beklagte hätte ihn durch eine Umgestaltung anderer Arbeitsplätze auch anderweitig einsetzen können. Hierzu sei sie aufgrund des BEM verpflichtet gewesen. Die Beklagte hingegen hat die Auffassung vertreten, die Arbeitsfähigkeit des Klägers könne auf unabsehbare Zeit nicht wieder hergestellt werden. Auch eine Beschäftigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz sei nicht mehr in Betracht gekommen.

Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Das BAG hat den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung, insbesondere zur Klärung, ob ein leidensgerechter Arbeitsplatz vorhanden ist bzw. durch eine zumutbare Umgestaltung der Betriebsabläufe geschaffen werden könnte, an das Berufungsgericht zurückgewiesen.

Praxishinweis:

Ist ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, hat der Arbeitgeber nach § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX unter Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers und der Interessenvertretung zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. In Anbetracht der Entscheidung des BAG kann jedem Arbeitgeber nur dringend geraten werden, vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung immer zu versuchen, das Betriebliche Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX durchzuführen. Zu diesem Zweck sollte zunächst der betroffene Arbeitnehmer aufgefordert werden, sein Einverständnis zur Durchführung des Präventionsverfahrens zu erteilen. Nur wenn der Arbeitnehmer damit nicht einverstanden ist, bedarf es der Durchführung des Verfahrens nicht. Anderenfalls sollte der Arbeitgeber das Verfahren durchführen, um später nicht im Kündigungsschutzprozess die vom BAG dargestellten prozessualen Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.

Zu dem Aufgaben des Betriebsrates gehört gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auch darauf hinzuwirken, dass das Verfahren nach § 84 Abs. 2 SGB IX durchgeführt wird. Er ist an der Durchführung des Verfahrens zu beteiligen.

*D5/D15962

BAG: Krankheitsbedingte Kündigung – Betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX kein bloßer „Programmsatz“